The Advantage of Circles

Ich plane einen Film über die Veränderung städtischer Räume in Botswana. Hierbei konzentriere ich mich auf die Tswana Town Kanye und die Hauptstadt Gaborone.
Der Fokus liegt auf Architektur und Raumorganisation und darauf, wie sich die Veränderung auf die Menschen auswirkt.
Ich beginne mit der Recherche im März 2019 und mit den Filmarbeiten ab August 2019.
Format: künstlerischer Dokumentarfilm. Länge: ca. 60 bis 90 Minuten.

Exposé

Seit dem Jahr 2000 besuche ich die Freundinnen in Botswana.
Nnana lebt in Kanye, einer Tswana Town im süd-westlichen Botswana. Nnana ist die Tochter eines Kgosis (Fürst/Chief), Bathoen II. Er ist einer der Politiker, der im Jahr 1966 das Land aus dem britischen Protektorat in die Unabhängigkeit geführt hat. Nnana hütet das Erbe der Eltern. Sie lebt im "Palast"- dem Familienhaus im Englischen Kolonialstil - in der Mitte des Ortes. Der Palast ist von Tswana Hütten aus Lehm umgeben, in denen Verwandte der Familie lebten. Heute verfallen die Lehm Häuser. Die Ruinen sind langsam verblassende Zeugen der vergangenen Architektur und Kultur.
In den Jahren 2013 und 2015 filme ich den Verfall eines der Lehm Ruinen ("Buti's House").

Die Architektur des Landes beginnt mich zu interessieren.

Botswana hat sich seit seiner Unabhängigkeit in die Moderne katapultiert. Es war eines der ärmsten Staaten weltweit. Heute gilt es als Land mittleren Einkommens und als stabile Demokratie. Fast 70 Prozent der Menschen leben in Städten, während es noch 1971 nur 9 Prozent waren. Botswana ist eines der am stärksten urbanisierten Länder Afrikas.
In vielen afrikanischen Ländern haben sich nach der Unabhängigkeit Städte zu gigantischen Metropolen mit einer großen Anzahl von Problemen entwickelt: Anwachsende Slums, Straßenchaos und Probleme der Wasserversorgung, und anderes. Obwohl Botswana ein Halbwüstenstaat mit nur ca. 2,4 Mio. Staatsbürger*innen (plus 1 Mio. Zuwanderern und Flüchtlingen aus Zimbabwe) ist, durchlebt es eine vergleichbare Entwicklung.
Noch bis in die Zeit des britischen Protektorats (1885 - 1966) lebten die Bewohner des Landes in Lehm Häusern. Frauen und ihre Familien waren die "Architekten" der Lehm Häuser. Jede Familie baute Häuser an drei verschiedenen Orten - eine Besonderheit der Tswana Kultur, die bis heute praktiziert wird: man wohnt in der Tswana Town, betreibt Ackerbau und Rinderzucht in Regionen, die manchmal hunderte von Kilometern voneinander entfernt liegen. Familienmitglieder reisen weite Strecken zwischen Wohnsitz, Cattle Post und Ackerland.

Heute sind die Lehm Häuser fast vollständig aus dem Stadtbild der Tswana Town verschwunden. Seit ca. 60 Jahren bauen Baumeister und Maurer die Häuser nach europäischen Grundrissen mit Zementsteinen, Wellblechdach und Säulen, die die Eingangstür einrahmen. Der Bau eines Hauses kostet jetzt Geld.

Im Gegensatz zur Architektur, ist bis heute die traditionelle Raumorganisation im Zentrum der Tswana Town erhalten. Sie spiegelt die sozialpolitischen und kulturellen Strukturen der Tswana-Gesellschaft wieder und hat ihre symbolische Bedeutung nicht verloren.
Botswana ist hier besonders. Die spezifische Raumorganisation der Tswana Town und das drei-Orte-Modell existieren in keinem anderen afrikanischen Land.
Mich interessiert nicht der nostalgische Blick auf die verlorene Architektur und Tradition. Aber ich möchte den Verlust, den die Menschen und die Tswana Stadt durchleben, nicht vergessen. Der Film soll diesen Prozess bewusst machen.

Ich plane den Film in Zusammenarbeit mit dem Department of Architecture and Planning der University of Botswana. Die Wissenschaftler dort setzen sich mit Stadtplanung und insbesondere der traditionellen, vorkolonialen Stadt- und Wohnkultur Botswanas auseinander. Sie arbeiten an einer "Southern Theorie", die sich kritisch mit der "Western Theorie" auseinandersetzt.
Im Artikel " Cultural Planning and Physical Planning in Botswana " entwickeln S.B. Morobolo, C. Molebatsi, O. Moatshe vom Department of Architecture and Planning, University of Botswana, ihren Ansatz: "Although Botswana has a rich and diverse culture, settlement planning in Botswana seems to disregard this aspect. Every village’s, town’s or city’s development plan and planning layout is similar. These hegemonic development plans are based on current planning systems which are those based upon Eurocentric models. The models seem to totally disregard the cultural identity and urban grain of local communities as expressed in their customs, rituals and practices."

Die Tswana Town 
Kanye ist einer der acht, etwa gleich großen traditionellen Tswana Towns (70.000 bis 100.000 Einwohner) in Botswana.
Im Mittelpunkt steht die Kgotla (Versammlungsort), die durch den Kgosi repräsentiert wird. Sie steht für politische Macht und kulturelle Identität. Macht und Bedeutung haben sich seit der Unabhängigkeit im Jahr 1966 verändert. Aber immer noch ist die Kgotla ein lebendiger Ort, an dem politische Debatten geführt, Ehen geschlossen und Feste gefeiert werden. Außerdem finden hier Gerichtsverhandlungen über Diebstahl und lokale Familien- und Nachbarschaftskonflikte statt.

  
Drei nebeneinander liegende Wards in Kanye (google) 

Jede Tswana Town besteht aus einem Cluster von Wards. Ein Ward ist als Kreis angelegt.
Wege und Straßen mäandern durch die großflächig angelegte Tswana Town, sie verbinden die Wards untereinander. In der Mitte des Orts liegt der Kgosing Ward mit der Kgotla, daneben das Familienhaus des Kgosi, das seines Ngakas (königlicher Schutzzauberer), die Häuser naher Verwandter und die der Vertrauten, die als 'Spione' für den Kgosi die Lage auskundschaften.

Um den Kgosing Ward gruppieren sich in Kreisen weitere Wards, die von Familienclans bewohnt werden - wie Satelliten um ein Zentrum.
Die Tswana Town ist hierarchisch angeordnet. Die Platzierung eines Wards im Ortsgefüge zeigt an, in welcher sozialen und politischen Beziehung die Familienclans zu Kgosi und Kgotla und untereinander stehen. Um den Kgosi gruppieren sich die Eliten. Verwandtschaftsgrad, Rang und Alter sind hierbei von Bedeutung. Weiter außen leben gewöhnliche Bürger und in der Peripherie Einwanderer und Geflüchtete.

In der Mitte jedes Wards befindet sich ein multifunktionaler Platz: er ist Versammlungsplatz, dient als Hochzeits-, Beerdigungs- und Veranstaltungsort für traditionelle Spiele, und als Spielplatz für Kinder (Part I in meinem Film "The Queen's Cortyard", 2005).
Im Kreis sind die Gehöfte der Familien in Plots angeordnet. Jeder Ward und jeder Plot verfügt über großzügigen Platz.   

 
Kanye Ward                          google map

Der Plot ist der private Raum einer Familie. Hier befindet sich das Haupthaus, dahinter kleinere Familienhäuser, manchmal noch ein Hühnerstall und eine Außenküche. Das Familienleben: Kochen, Essen, Wäschewaschen findet öfter noch draußen statt. 
Architektur und Raumplanung in den letzten 60 Jahren veränderten Leben und Erscheinungsbild von Kanye radikal. Der Ort ist auf 70.000 Einwohner angewachsen. Neue Stadtteile entstehen, die nach "westlichen Modellen" geplant und ausgebaut werden. Die traditionelle Ward Struktur wird hierbei ignoriert. Stattdessen gleichen die Viertel immer mehr dem "Gitter"-Layout der Hauptstadt. Was ist hier geschehen?
 
Neue Wohnviertel am nord-östlichen Rand             

Die Hauptstadt Gaborone 
Die Hauptstadt existiert erst seit 60 Jahren. Sie ist keine gewachsene, sondern eine Planstadt wie Brasilia oder Abuja.
Das Regierungsviertels wurde von schwedischen Architekten gebaut. Nach britischen Plänen entstanden umliegend Wohnviertel für Politiker, Beamte und Angestellte. Die Bevölkerung hatten bei der Planung kein Mitspracherecht. Heute ist Gaborone eine große, moderne Stadt mit Shopping Malls, Industrie- und Gewerbevierteln, Banken, einer Universität, Museen, Galerien, Clubs, Kinos und verschiedenen Kirchen. Die Stadt vergrößert sich rasant. Das neueste Businesscentrum am Rande von Gaborone sieht aus wie eine außerirdische Raumstation. Neu entstehende Viertel werden mit Nummern gekennzeichnet: Extention 1 bis Extention 48.

 Ausschnitt Stadtplan Gaborone                                                                                       (google Sattelit)

Flächen sind in separate Zonen aufgeteilt, Arbeit, Wohnen, Konsum, Arme und Reiche voneinander getrennt, Viertel und Straßen in gitterartige Strukturen zerlegt. Die gerade verlaufenden Hauptstraßen sind ausschließlich für Autos geplant, es gibt wenig Kreuzungen. Dagegen sind Wege und Straßen in der Tswana Town kurvenreich, kreuzen sich oft und werden hauptsächlich von Fußgängern benutzt.
Es gibt keine öffentlichen Orte, die, vergleichbar der Kgotla, politische und kulturelle Bedeutung haben oder für traditionelle Anlässe genutzt werden. 
Plots mit Einfamilienhäusern sind relativ klein und meistens von einer Mauer umgeben. Es fehlt der freie Platz vorm Haus wie im Ward der Tswana Town. Das Familienleben, ist von draußen nach drinnen ins Haus verlegt worden. Ebenso die Arbeit. Familienverbände, die in Wards zusammen leben, sind auseinandergerissen und über die ganze Stadt verteilt. So wird die gegenseitige Unterstützung immer schwieriger.
In der Großstadt wird der private Raum durch eine Mauer hergestellt, in der Tswana Town durch großzügigen Platz und Distanz zum Nachbarn.  Menschen in der Stadt haben keinen Platz für Familienfeiern wie z.B. Hochzeiten und Beerdigungen. Diese räumlichen Einschränkungen verändern kulturelle Gewohnheiten und unterhöhlen Identitäten - ein ganz klassischer Grund für Anomie.  Die neuen Gesetze verbieten die Haltung von kleinen Tieren wie Hühner oder Ziegen. Verstöße werden bestraft. Informeller Handel ist ebenfalls verboten. Viele Menschen stellen trotzdem einen Tisch vor den Eingang des Plots und verkaufen Süßigkeiten oder kleine Mengen an Lebensmitteln.
Die Viertel gliedern sich nach Einkommensgruppen. Reiche grenzen sich in scharf gesicherten Communities gegen Arme ab. In den informellen und illegalen Siedlungen werden Unterkünfte aus einfachsten Materialen, wie Wellblech, Plastikplanen und Brettern, zusammengezimmert. Die Armut in der Hauptstadt nimmt rapide zu.

Besitz war in der Nachbarschaft der Tswana Town kein Kriterium, stattdessen spielte die Verwandtschaftsnähe zur Familie des Kgosis eine zentrale Rolle.

Kultur und Raumorganisation der Tswana Town wurden bei der Planung der Hauptstadt gänzlich ignoriert. Die Bewohner sind mit der Lebensqualität in Gaborone unzufrieden. In welchem Maße ist die Raumorganisation für das Unbehagen verantwortlich?  Die Raumorganisation der Tswana Town symbolisiert eine traditionelle Weltansicht.  Ohne Symbole ist es schwer, ein Wertesystem zu erhalten.  Ohne Wertesystem fühlen sich die Menschen verloren, d.h. ohne gesellschaftlichen und sozialen Halt. Ihre Sehnsucht bleibt.

In Gesprächen mit Batswana mache ich die Erfahrung, dass sich Unmut und Überdruss nicht leicht in Worte fassen lassen. Die Stadt wird als kalt, hektisch und laut erfahren. Das Leben ist um ein Vielfaches teurer als auf dem Land. Die Miet- und Lebensmittelpreise sind zu hoch, und Verkehrsstaus und -chaos verursachen Stress. Gaborone hat keine traditionellen Wurzeln. Das städtebauliche Horrorszenario offenbart sich in jedem Winkel der Stadt. Andererseits ziehen immer mehr Menschen nach Gaborone. Hier gibt es Arbeit und Geld, die Hoffnung auf Karriere, Ausbildung und Bildung, gutes Internet, Ärzte und kulturelle Angebote. Ungefähr 600.000 Menschen leben im Großraum Gaborone. Die Hauptstadt unterscheidet sich von der traditionellen Tswana Town noch in einem anderen Punkt, sie ist international. Die größte Bevölkerungsgruppe sind Batswana aller indigenen Tswana Gruppen. Sie teilen sich die Stadt mit anderen afrikanischen Nationalitäten, Indern, Chinesen und Europäern. Die internationale Gemeinschaft mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen, Erwartungen und Bedürfnissen stellt eine weitere Herausforderung an die Stadtplaner.

 

Filmisches Konzept

Film ist das geeignete Medium, um Räume zu erfassen: Den großzügigen Raum der Tswana Town einerseits und die Enge in der Stadt andererseits. Hier sind die  Häuser von Mauern und geraden Straßen eingegrenzt. In der Tswana Town dagegen mäandern Wege durch freie Plätze zwischen Häusern und um Wards herum und fügen sich zu einem Landschaftsbild.
Film ist das geeignete Medium, um menschliche Erfahrungen und Gefühle zu dokumentieren. Ich denke hier besonders an Körpersprache und nicht verbale Ausdrucksweisen. Das Leben der Menschen soll mit der Kamera beobachtet, aber auch Gespräche dokumentiert werden. Außerdem bin ich an der Dokumentation von Arbeitstreffen der Stadtplaner interessiert. 

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Für die Gespräche, die mich zu diesem Projekt inspiriert haben, möchte ich mich bei Sethabile Mathe (Architektin, Gaborone und Oslo), Chatsimolo Molebatse (Architecture and Planning, University of Botswana) und Lesedi Jerrett, Studentin der Architektur an der University of Botswana, herzlich bedanken.